Prinzipien methodischen Vorgehens in der Wissenschaft nach Hobmair
Die folgenden Ausführungen versuchen in relativ einfacher Sprache typische Strategien und Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens zu erklären. Dabei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. Wenn man im Internet gepostete Studien beurteilen möchte, dann sind die folgenden Darstellungen eine Hilfe.
"Aufgabe wissenschaftlicher Bemühungen ist es, zu systematischen, widerspruchsfreien und möglichst präzisen (...) Aussagen zu kommen, die mit objektiven Verfahren nachprüfbar sind und möglichst viele, dem Anschein nach verschiedenartige Phänomene einheitlich und allgemein gültig erklären." (Hermann Brandstätter, 1983)
Prinzipien methodischen Vorgehens
Wissenschaftler, die empirisch vorgehen, haben grundlegende Prinzipien zu beachten,wenn sie zu überprüfbaren und allgemein gültigen Aussagen gelangen wollen.
Die Beschreibung muss möglichst klar, präzise und genau, zentrale Begriffe müssen eindeutig bestimmt sein.
Wenn zum Beispiel Forschende untersuchen wollen, ob autoritär erzogene Menschen sich sehr aggressiv verhalten, so müssen die zentralen Begriffe eindeutig bestimmt werden:
Was heißt autoritäre Erziehung?
Was bedeutet sehr aggressiv?
Wie äußert sich autoritäre Erziehung, wie Aggressivität?
Dabei müssen Begriffe auf das Beobachtbare zurückgeführt werden: Die Forschenden geben
bestimmte Merkmale an, wiesie einen bestimmten Sachverhalt beobachten.
So kann beispielsweise der Begriff „Aggression" folgendermaßen auf das Beobachtbare zurückgeführt werden:
• Aussage des Untersuchten: „Ich bin aggressiv" oder „Ich habe keine Aggressionen",
• beobachtbare Reaktionen wie Erröten, Zittern, Stottern, erhöhter Blutdruck, schnelles Schnaufen,
Umherschlagen mit den Armen usw.,
• Ergebnis eines Fragebogens, den der Untersuchte beantwortet,
Das Zurückführen von Begriffen auf das Beobachtbare wird als Operationalisierung bezeichnet. Sind die Begriffe auf das Beobachtbare zurückgeführt, so spricht man von einer operationalen Definition.
Operationale Definition ist eine Begriffsbestimmung, in der ein Begriff auf das Beobachtbare zurückgeführt ist.
Hunger bei Tieren zum Beispiel kann durch die Art des Messens operational definiert werden, etwa
durch die Futtermenge, die in einer bestimmten Zeit verzehrt wird, oder durch die Angabe der Zeit, ir
der die Tiere nichts zu essen bekommen. Intelligenz ist durch das, was der Intelligenztest misst, operational definiert.
Wissenschaftliche Aussagen müssen überprüfbar sein
Neben einer klaren, präzisen und genauen Beschreibung sowie einer eindeutigen Begriffsbestimmung ist es zur Überprüfung einer wissenschaftlichen Aussage erforderlich, das die Forschenden genaue Angaben machen, auf welche Art und Weise sie zu ihren Erkenntnissen gekommen sind, wie sie also methodisch vorgegangen sind. Nur so ist es möglich nachzuprüfen, ob der Wissenschaftler methodisch richtig verfahren ist und damit brauchbare Ergebnisse erzielt hat oder ob er Fehler gemacht hat und damit zu unbrauchbaren Ergebnissen gekommen ist.
Um zu Aussagen zu kommen, die tatsächlich der Wirklichkeit entsprechen, muss ein
Wissenschaftler das beobachten bzw. untersuchen, was er zu beobachten und zu untersuchen angibt. Laien unterscheiden diesbezüglich in ihrer Alltagsbeobachtung oft nicht genau.
Wenn Forschende zum Beispiel die Kreativität eines Menschen beobachten wollen, so müssen sie tatsächlich die Kreativität und nicht das logische Denken beobachten.
Dieses Prinzip wissenschaftlichen Beobachtens wird als Gültigkeit bzw. Validität bezeichnet.
Validität (Gültigkeit) bedeutet, dass Forschende auch tatsächlich das beobachten bzw. messen, was sie zu beobachten und messen angeben.
Zudem muß ein Forscher das, war er zu beobachten und messen angibt, genau und exakt beobachten bzw. messen. Das Ergebnis muss von zufälligen Einflüssen weit-
gehend frei sein, was bei der Alltagsbeobachtung nicht der Fall ist.
Misst man beispielsweise eine bestimmte Wegstrecke mit Schritten, so ist dieses Messinstrument nicht zuverlässig. Ein Metermaß dagegen ist ein zuverlässiges Messinstrument.
Die Zuverlässigkeit ist dann gegeben, wenn die Beobachtung bzw. die Messung bei Wiederholung unter Beachtung der gleichen Bedingungen immer wieder zum gleichen Ergebnis führt.
Messe ich zum Beispiel eine bestimmte Wegstrecke mit Schritten, so wird bei jeder Messung möglicherweise ein anderes Ergebnis erzielt werden, während eine Messung mit dem Meterstab bei Wiederholung unter Beachtung der gleichen Bedingungen zum gleichen Ergebnis führt.
In der wissenschaftlichen Fachsprache wird das Kriterium der Zuverlässigkeit Reliabilität genannt.
Reliabilität (Zuverlässigkeit) bedeutet, dass ein Forscher das, was er zu beobachten und
messen angibt, genau und exakt beobachtet bzw. misst.
Die Kriterien der Validität und Reliabilität müssen natürlich auch auf Beobachtungshilfen,
wie zum Beispiel Beobachtungs- oder Fragebögen, sowie auf Messinstrumente, die die
Forschenden benutzen, zutreffen (…).
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Ein sehr entscheidendes Kriterium, um zu Aussagen zu kommen, die der Wirklichkeit entsprechen, ist die Objektivität: Verschiedene Wissenschaftler müssen mit ihrer Beobachtung unter gleichen Bedingungen zu gleichen Ergebnissen kommen.
Es ist wichtig, zu jeder Beobachtung bzw. Studie kritische Gegenmeinungen anderer Wissenschaftler zu Kenntnis zu nehmen. Dabei ist deren spezifische Ausbildung und wissenschaftlicher Leumund nicht zu übersehen.
Eine Beobachtung bzw. Studie ist dann objektiv, wenn unabhängig von den Personen, die sie durchführen, auswerten und interpretieren, gleiche Ergebnisse erreicht werden. Das Ergebnis einer Beobachtung darf also nicht von der Person bzw. deren Privatmeinung des Forschers abhängen.
Die Beobachtung zum Beispiel, wie viele aggressive Verhaltensweisen Kinder auf verschiedenen
Spielplätzen in der Bundesrepublik Deutschland zeigen, ist dann objektiv, wenn verschiedene
Forscher auf den gleichen Spielplätzen unter Beachtung der gleichen Bedingungen zu demselben Ergebnis kommen.
Definition: Objektivität heißt, dass eine Beobachtung bzw. Untersuchung in ihrer Durchführung
Auswertung und Interpretation von der Person des Forschers unabhängig ist.
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Die „Erkenntnisse" von Laien sind in der Regel subjektiv, das heißt, dass verschiedene Personen bei ein und demselben Sachverhalt zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Um zu allgemeingültigen Aussagen zu kommen, müsste man genau genommen alle Personen bzw. -gruppen, auf die die Aussage zutreffen soll, untersuchen.
Wenn zum Beispiel Psychologen untersuchen wollen, ob Schülerinnen und Schüler, die sich am Unterricht aktiv beteiligten, bessere Noten schreiben als diejenigen, die weniger im Unterricht mitarbeiten, so müssten sie alle Schülerinnen und Schüler der Bundesrepublik Deutschland beobachten.
Wir nennen die Gesamtheit aller Personen, auf die die Aussage zutreffen soll, Grundgesamtheit bzw. Population.
Im obigen Beispiel ist die Grundgesamtheit bzw. die Population alle Schülerinnen und Schüler der
Bundesrepublik Deutschland; auf sie nämlich soll die Aussage zutreffen: „Besteht ein Zusammenhang zwischen der aktiven Mitarbeit im Unterricht und den schulischen Leistungen?"
Bei der Untersuchung, ob Frauen bessere Autofahrer sind als Männer, ist die Population alle Auto fahrenden Frauen und Männer in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Gesamtheit aller Personen, für die man aufgrund einer Untersuchung eine Aussagetreffen will, bezeichnet man als Grundgesamtheit bzw. Population.
Es ist aber nicht möglich, alle Personen, auf die die Aussage zutreffen soll, zu untersuchen.
Wissenschaftler wählen deshalb aus der Population bestimmte Personen aus. Wird eine Untersuchung nur an einem Teil der Population durchgeführt, so spricht man von einer Stichprobe.
Wolle also Psychologen untersuchen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen der aktiven Mitarbeit
im Unterricht und den schulischen Leistungen, so wählt sie sich aus der Population beispielsweise
1000 Schülerinnen und Schüler aus, um an diesen das gefragte Merkmal zu beobachten. Diese 1000 Schülerinnen und Schüler stellen in diesem Beispiel die Stichprobe dar.
Definition: Derjenige Teil der Population, an dem eine Untersuchung durchgeführt wird, wird als Stichprobe bezeichnet.
Dabei ist es wichtig, dass sich die Stichprobe in allen Merkmalen, die für das zu untersuchende Verhalten bedeutsam sein könnten, genauso zusammensetzt wie die Population.
So müssen, um beim obigen Beispiel zu bleiben, Merkmale wie Intelligenz, Begabungen, Alter, Erledigen von Hausaufgaben, u. a. in der Stichprobe genau beobachtet werden. Sie muss bezüglich dieser Merkmale genauso zusammengesetzt sein wie die Population.
Wir sprechen dann von der Repräsentativität einer Stichprobe: Sie setzt sich in ihren Merkmalen genauso zusammen wie die Population, sie stellt gleichsam eine „verkleinerte Population" dar.
Bei einer genügend großen Stichprobe, bei der jede Person die gleiche Chance hat in die Stichprobe aufgenommen zu werden, ist in der Regel die Repräsentativität gegeben. Eine Möglichkeit, eine solche Stichprobe auszuwählen, ist die Zufallsauswahl, wie dies beispielsweise beim Losverfahren der Fall ist.
Der Wissenschaftler muss sich Gedanken machen, wie er mögliche Merkmale, die sein Ergebnis beeinflussen und damit verfälschen könnten, in den Griff bekommen bzw. ausschalten kann. Dem Laien sind solche Merkmale meist gar nicht bewusst.
So könnte es möglich sein, dass die Schüler wegen einer bevorstehenden Prüfung ganz besonders viel zu Hause lernen oder sich Nachhilfeunterricht geben lassen und dadurch gute Noten erzielt werden und nicht aufgrund der aktiven Mitarbeit im Unterricht.
Der Wissenschaftler erhält als Ergebnis seiner Untersuchung an der Stichprobe Angaben über die Ausprägung bzw. über die Häufigkeit von bestimmten Verhaltensmerkmalen.
Hat beispielsweise ein Psychologe an einer genügend großen
Stichprobe untersucht, ob ein Zusammenhang besteht
zwischen der aktiven Mitarbeit im Unterricht und den schulischen Leistungen, so erhält er auf der einen Seite Angaben über die Aktivität von
Schülerinnen und Schülern im Unterricht, auf der anderen Seite erfährt er, wie es um die Leistungen
dieser Schülerinnen und Schüler, die er durch Noten ermitteln kann,
steht.
Diese Angaben bezeichnen wir als Daten, die mit Hilfe statistischer Verfahren ausgewertet und interpretiert werden.
Statistik ist die Bezeichnung für mathematische Verfahrensweisen, die der Aufbereitung,
Auswertung und Interpretation von empirisch gewonnenen Daten dienen.
Dabei können aus den Daten allgemein gültige Schlüsse gezogen
werden, die für diejenigen Personen bzw. -gruppen, für die man eine
Aussage haben möchte, zutreffen.
Mit Hilfe der Statistik können beispielsweise Durchschnittswerte und Abweichungen vom Durchschnitt errechnet werden.
So lässt sich zum Beispiel der Durchschnitt von aggressiven Verhaltensweisen von Kindern auf Spielplätzen in verschiedenen Städten der Bundesrepublik Deutschland errechnen und miteinander vergleichen. Um nun diesen Mittelwert in seiner Bedeutung und Aussagekraft richtig abzuschätzen, können Abweichungen vom Durchschnitt in den einzelnen Städten festgestellt werden. So kann es möglich sein, dass die Kinder in der Stadt X in etwa alle gleich aggressiv sind, während es in der Stadt Y eine bestimmte Gruppe von Kindern gibt, die durch sehr starke aggressive Handlungen auffallen, während der größte Teil der Kinder wenig Aggression zeigt.
Wichtig für die Wissenschaft ist, dass mit Hilfe der Statistik mathematische Beziehungen zwischen Merkmalen festgestellt werden können.
So kann beispielsweise ein Wissenschaftler mit Hilfe der Statistik berechnen, ob ein Zusammenhang besteht zwischen dem Grad der Intelligenz und den schulischen Leistungen.
Einen solchen statistisch berechneten Zusammenhang zwischen verschiedenen Merkmalen bezeichnet man als Korrelation.
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Definition: Mit Korrelation meint man den statistisch berechneten Zusammenhang zwischen zwei oder mehreren Merkmalen.
Eine Korrelation ist ein mathematischer Wert, der lediglich die Beziehung zwischen zwei Merkmalenangibt, aber nicht als Ursache-Wirkung-Zusammenhang interpretiert werden darf.
Zwischen dem Maß an Geboten, Verboten, Anordnungen und Befehlen in einer Unterrichtsstunde einerseits und der Häufigkeit an Kontrolle und Bestrafung andererseits besteht beispielsweise eine Beziehung, bei der es sich jedoch nicht um einen Ursache-Wirkung-Zusammenhang handelt.
Oft werden beispielsweise Korrelationen, die keinen Ursache-Wirkung-Zusammenhang haben, im Internet fälschlicher Weise als wissenschaftliche Erkenntnis „verkauft“.Ohne diesen Zusammenhang hat die Studie keine Aussagekraft.
Beispiel:
„Je mehr Störche, desto mehr Kinder – eine (Schein)-Korrelation
Ein Klassiker der Statistik … Man kann tatsächlich nachweisen, dass in Regionen mit mehr Störchen auch mehr Kinder „auf die Welt kommen“. Ist damit bewiesen, dass Störche Kinder bringen?
Medizinisch-biologische Erkenntnisse sprechen dagegen – es gibt andere, gut belegte Theorien bzw. Erfahrungen 😉 dazu, wie Kinder entstehen und von wo sie „gebracht“ werden. So weit, so klar
Siehe auch: https://www.youtube.com/watch?v=YHbqry2IQlE
Mit Hilfe von statistischen Verfahren lässt sich angeben, ob Unterschiede oder Zusammenhänge von Merkmalen zufällig sind oder nicht. Sind die Ergebnisse nicht zufällig, so bezeichnet man sie als signifikant bzw. sehr signifikant. Von einem signifikanten Ergebnis spricht man, wenn die Möglichkeit eines Zufallsergebnisses geringer als 5 % ist, und von einem sehr signifikanten Ergebnis, wenn die „Zufallsmöglichkeit" unter 1 % liegt.
Eine Verallgemeinerung von der Stichprobe auf die Population ist nur dann zulässig, wenn die Daten der Stichprobe signifikant bzw. sehr signifikant sind.
Definition für den Begriff „Signifikant“: Ein Wert ist dann signifikant, wenn er zu groß, hervorstechend, wichtig, als wesentlich erkennbar, als dass er zufällig sein kann.
Die mit Hilfe der Statistik gewonnenen Aussagen sind zwar allgemein gültig, entsprechen aber nicht mehr der Realität und lassen im extremsten Falle keinen Rückschlussauf den Einzelfall zu.
Am Beispiel der Noten kann dies aufgezeigt werden: Der Lehrer kommt zu einem Notendurchschnitt, beispielsweise auf 3,27; diese „Note" hat aber kein Schüler. Das Gleiche gilt für eine Korrelation: Sie stellt einen mathematischen Wert dar, der den Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen angibt, der aber keine absolut sicheren Vorhersagen für den Einzelfall zulässt.
Zusammenfassung
Überprüfbare, allgemein gültige und systematisch gewonnene Aussagen werden erreicht durch...• Klarheit und Genauigkeit in der Beschreibung,
• Eindeutigkeit in der Begriffsbestimmung,
• Zurückführung der Begriffe auf das Beobachtbare (Operationalisierung von Begriffen),
• Angaben, wie die Forschenden zu ihren Erkenntnissen gekommen ist;
• Tatsächliche Beobachtung bzw. Untersuchung dessen, was zu beobachten und messenangegeben ist (Validität);
• Genaue und exakte Beobachtung bzw. Messung dessen, was zu beobachten und messenangegeben ist (Reliabilität),
• Unabhängigkeit der Beobachtung bzw. Untersuchung in ihrer Durchführung, Auswertungund Interpretation von der Person des Forschenden (Objektivität);
• Ausschalten von Merkmalen, die das Ergebnis verfälschen könnten;
• Repräsentativität von Stichproben;
• Auswertung und Interpretation von Daten mit Hilfe statistischer Verfahren."
Aus: Hobmair Hermann, u.a., "Psychologie" , Köln, 1997, Seiten 50 – 55