Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
5
Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündeter
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
6. Bilden Sie sechs Gruppen, in denen Sie jeweils einen Abschnitt des Textes
"Da muss man umdenken" innerhalb der Gruppen bearbeiten. Stellen Sie
Ihre Ergebnisse anschließend der Klasse als Präsentation vor.
Verwenden Sie dazu Möglichkeiten zur Visualisierung.
Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger.. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
Überschrift Verfasser
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
5
Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
9
Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündeter
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
6. Bilden Sie sechs Gruppen, in denen Sie jeweils einen Abschnitt des Textes
"Da muss man umdenken" innerhalb der Gruppen bearbeiten. Stellen Sie
Ihre Ergebnisse anschließend der Klasse als Präsentation vor.
Verwenden Sie dazu Möglichkeiten zur Visualisierung.
Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger.. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
Überschrift Verfasser
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
5
Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
9
Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündeter
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
6. Bilden Sie sechs Gruppen, in denen Sie jeweils einen Abschnitt des Textes
"Da muss man umdenken" innerhalb der Gruppen bearbeiten. Stellen Sie
Ihre Ergebnisse anschließend der Klasse als Präsentation vor.
Verwenden Sie dazu Möglichkeiten zur Visualisierung.
Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger.. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
Überschrift Verfasser
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
5
Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
9
Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündeter
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
6. Bilden Sie sechs Gruppen, in denen Sie jeweils einen Abschnitt des Textes
"Da muss man umdenken" innerhalb der Gruppen bearbeiten. Stellen Sie
Ihre Ergebnisse anschließend der Klasse als Präsentation vor.
Verwenden Sie dazu Möglichkeiten zur Visualisierung.
Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger.. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
Überschrift Verfasser
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
5
Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
9
Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündeter
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
6. Bilden Sie sechs Gruppen, in denen Sie jeweils einen Abschnitt des Textes
"Da muss man umdenken" innerhalb der Gruppen bearbeiten. Stellen Sie
Ihre Ergebnisse anschließend der Klasse als Präsentation vor.
Verwenden Sie dazu Möglichkeiten zur Visualisierung.
Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger.. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
Überschrift Verfasser
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
5
Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
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Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündeter
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
6. Bilden Sie sechs Gruppen, in denen Sie jeweils einen Abschnitt des Textes
"Da muss man umdenken" innerhalb der Gruppen bearbeiten. Stellen Sie
Ihre Ergebnisse anschließend der Klasse als Präsentation vor.
Verwenden Sie dazu Möglichkeiten zur Visualisierung.
Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger.. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
Überschrift Verfasser
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
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Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
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Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündeter
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
6. Bilden Sie sechs Gruppen, in denen Sie jeweils einen Abschnitt des Textes
"Da muss man umdenken" innerhalb der Gruppen bearbeiten. Stellen Sie
Ihre Ergebnisse anschließend der Klasse als Präsentation vor.
Verwenden Sie dazu Möglichkeiten zur Visualisierung.
Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger.. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
Überschrift Verfasser
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
5
Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
9
Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündeter
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
6. Bilden Sie sechs Gruppen, in denen Sie jeweils einen Abschnitt des Textes
"Da muss man umdenken" innerhalb der Gruppen bearbeiten. Stellen Sie
Ihre Ergebnisse anschließend der Klasse als Präsentation vor.
Verwenden Sie dazu Möglichkeiten zur Visualisierung.
Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger.. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
Überschrift Verfasser
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
5
Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
9
Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündeter
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
6. Bilden Sie sechs Gruppen, in denen Sie jeweils einen Abschnitt des Textes
"Da muss man umdenken" innerhalb der Gruppen bearbeiten. Stellen Sie
Ihre Ergebnisse anschließend der Klasse als Präsentation vor.
Verwenden Sie dazu Möglichkeiten zur Visualisierung.
Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger.. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
Überschrift Verfasser
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
5
Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
9
Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündeter
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
6. Bilden Sie sechs Gruppen, in denen Sie jeweils einen Abschnitt des Textes
"Da muss man umdenken" innerhalb der Gruppen bearbeiten. Stellen Sie
Ihre Ergebnisse anschließend der Klasse als Präsentation vor.
Verwenden Sie dazu Möglichkeiten zur Visualisierung.
Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm
Die Pädagogik des Célestin Freinet in der Theorie und ihrer Wirkung im Alltag
von Jasmin Kempkes und Lisa Windpassinger.. Didaktische Überarbeitung Werner Jung.
Inhaltsverzeichnis
Überschrift Verfasser
1. Kurzbiografie des Célestin Freinet ,
2. Die Schuldruckerei ,
3. Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
3.1 Freie Entfaltung der Persönlichkeit
3.2 Kritische Auseinandersetzung mit der
Umwelt
3.3 Selbstverantwortlichkeit des Schülers
3.4 Zusammenarbeit und gegenseitige
Verantwortlichkeit
4. Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik ,
5.Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
6. Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten ,
6.1 Selbstständiges Tätigsein der Kinder steht
im Mittelpunkt
6.2 Drei Entwicklungsrichtungen und vier
Prinzipien
6.3 Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar
aus der Praxis
6.4 Freinet-Pädagogik lässt sich überall
und bei allen Altersstufen realisieren
6.5 Fragen aus der Perspektive der Kinder
stellen
7. "Da muss man umdenken" Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
7.1 Werkstätten - ein Eckpfeiler der
Freinet-Pädagogik
7.2 Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
7.3 Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
7.4 Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre
Experimente
7.5 Der Fehler als Verbündeter
7.6 Achten, beachten, beobachten
8. Literaturverzeichnis ,
Célestin Freinet (1896 – 1966),
französischer Volksschullehrer, Reformpädagoge
„Mein einziges Talent als Pädagoge besteht darin, dass ich mich meiner eigenen Kindheit sehr gut erinnern kann. Ich fühle und begreife als Kind die Kinder, die ich erziehe, und erkenne als Kind und Erwachsener zugleich die Irrtümer einer Wissenschaft, die ihren Ursprung vergessen hat.“1
Kurzbiografie des Célestin Freinet
Célestin Freinet wurde am 15. Oktober 1896 in der französischen Provence als 5. von 8. Kindern geboren. Im Jahr 1913 tritt er in das Lehrerseminar „école normale“ ein, wurde aber bereits zwei Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen. Dort erlitt er eine schwere Lungenverletzung, aufgrund derer er zeitlebens zum Pazifisten2 wurde.
Freinet tritt 1920 seine erste Lehrstelle in der winzigen Dorfschule von Bar-Sur-Loup an. Frei Jahre danach kauft Célestin eine Druckerpresse und lässt die Schüler seiner Klasse Texte ohne vorgegebenes Thema schreiben und drucken. Im späteren Verlauf wird die Druckerei zum Symbol der schnell wachsenden Freinet-Bewegung.
Weitere 12 Monate später gründet er mit zahlreichen anderen Lehrern eine „Kooperative“ die pädagogische Zusammenarbeit organisiert und Arbeitsmittel und -materialien herausgibt, aus der später die französische Lehrerbewegung der „École Moderne“ (moderne Schule) entsteht.
In dem darauf folgenden Jahr findet der erste Kongress der „École Moderne“ statt, der seither jährlich fortgesetzt wurde. Durch die Entfachung eines offenen Schulkampfes bricht eine rasante schulpolitische Auseinandersetzung aus, die auf nationaler Ebene ausgetragen wird. Dies führt letztendlich zu der Entlassung von Célestin Freinet aus dem Schuldienst.
Mit seiner Frau Elise Freinet, die er 1926 ehelichte, eröffnete er ein privates Landerziehungsheim in Vence. Diese wird bald zum Zentrum von praktischen und pädagogischen Versuchen. In selben Jahr produzierte Freinet seine erste eigene Schuldruckpresse und entwickelte in den darauf folgenden Jahren noch einfachere, handlichere Modelle, um die Schuldruckerei massenhaft verbreiten zu können. Immer mehr französische Schulklassen treten in Korrespondenz und tauschten Texte, Klassenzeitungen und Arbeitsergebnisse aus. Als 1935 die französische Volksfront siegt, erhält die Freinet-Bewegung einen großen Aufschwung. Durch die faschistischen Regierungen und den zweiten Weltkrieg wird diesem Höhenflug ein Ende gesetzt. Im Jahre 1940 wird Freinet in ein Internierungslager3 gebracht. Während seiner Inhaftierung verfass er die meisten seiner grundlegenden pädagogischen Arbeiten. Gleich nach Kriegsende findet der nächste Kongress der „École Moderne“ statt. Sein Buch veröffentlichte er vier Jahre später mit dem Titel „L’École Moderne Francaise“, indem er alle seine pädagogischen Ziele zusammenfasst. Außerdem kann er seine Privatschule in Vence wieder eröffnen. 1948 gründete Célestin das „Institut Cooperative de L’École Moderne“ (ICEM), indem er die Arbeitsschwerpunkte die Erprobung, die Weiterentwicklung und der Vertrieb von Arbeitsmitteln ist. Drei Jahre später wird die „Federation Internationale des Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM) gegründet. Sie soll zur Koordinierung der Freinet-Bewegung in verschiedenen Ländern dienen.
Aus der Zusammenarbeit weniger französischer Lehrer ist im Laufe der Zeit eine internationale pädagogische Reformbewegung geworden. Fünf Jahre später, am 8. Oktober 1966, stirbt Célestin Freinet in Vence. Weitere 15 Jahre später verstirbt auch seine Frau Elise Freinet.4
5
Arbeitsaufgaben:
1. Fassen Sie die wichtigsten Stationen im Leben des Célestin Freinet zusammen.
2. Finden Sie weitere Informationen zur „Federation Internationale des
Mouvements de L’École Moderne“ (FIMEM). Nutzen Sie dafür das Internet.
Die Schuldruckerei
„Wenn ich den lebendigen Text als den Ausdruck des „Spaziergangs“ mit Hilfe eines für meine Klasse geeigneten Druckereimittel in eine „Schulseite“ übersetzen konnte, die die Seiten des Lehrbuches ablöst, so fände man für die Lektüre des Gedruckten das gleiche Interesse wieder, wie es für die Vorbereitung des Textes selbst aufgebracht worden ist“6
Die Pädagogik des Célestin Freinets in ihrer äußeren Form
Der durch den Lehrer geleitete Unterricht wird durch selbst bestimmten Schülerunterricht ersetzt. Dies geschieht dadurch, dass die Klasse als Gemeinschaft eingerichtet ist.
Schüler und Lehrer besitzen im Klassenrat jeder eine Stimme, welche sie für ihre Interessen einsetzen können. Die Schüler bestimmen weitestgehend selbst, was sie lernen wollen, regeln eigenständig die diesbezügliche Zusammenarbeit und teilen die Zeit für die Ausarbeitung ein. In der Klassengemeinschaft referieren die Schülergruppen am Ende über ihre Ergebnisse und Erfahrungen bezüglich des selbst bestimmten Schülerunterrichts.
In Freinets Pädagogik wird der Lehrerzentrierte Unterricht durch selbstständiges Arbeiten und Exkursionen ersetzt, wobei „Die Schuldruckerei“ auch eine wesentliche Rolle spielte. Bei den in dem Buch angegebenen Druckern handelte es sich oft um einfache Pressen mit Bleiblettern. Mit diesem konnten die Schüler eigene Texte verfassen und Klassenzeitungen oder auch Bücher herstellen.
Obgleich sich die Erstellung vom Druckmaterial mit dem Einsatz von Computern in der heutigen Zeit vereinfacht hat, ersetzen diese keine Schuldruckerei, da der Computereinsatz das Erfahrungslernen in den Bereichen Kreativität und Umgang mit Schrift und Sprache erschwert.
In der Freinet-Pädagogik arbeiten verschiedene Schüler selbstständig an verschiedenen Themen. Die kreative Arbeitsfreiheit wirkt sich auch auf die Gestaltung des Klassenzimmers aus und durch das Trennen des Klassenzimmers in einzelne Bereiche entstehen themenorientierte Arbeitsecken oder Ateliers.7
Des Weiteren fördert die Freinet-Pädagogik Korrespondenzen8 zwischen Schulklassen, indem Bücher, Zeitungen und Dokumente untereinander ausgetauscht werden, wobei auch der Austausch von Ideen zwischen Lehrern mit eingeschlossen ist.
Vorrangig werden Arbeitsergebnisse verglichen und Anfragen der Korrespondenzklassen beantwortet.
9
Arbeitsaufgaben:
3. Erörtern Sie ausführlich, wie ein schülerbestimmter Unterricht - auf Basis der Freinet-Pädagogik in Ihrer Klasse aussehen könnte.
4. Diskutieren Sie - fachlich begründet- schriftlich und im Klassenverband, warum ein Computer den Einsatz einer Druckerei in einer Schule nicht ersetzen kann.
Die Grundsätze der Freinet-Pädagogik
Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Das freie Entfalten der Persönlichkeit wird durch das gemeinsame Schreiben, Gestalten und Musizieren gewährleistet. Bei Aktivitäten wie diesen gehen die Schüler aufeinander zu, aufeinander ein und stehen einander aufgeschlossen gegenüber. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung.
Hervorzuhebende Methoden sind die Schuldruckerei, die Klassenkorrespondenz, bei der das Lesen und Schreiben im Zusammenhand mit realer Kommunikation erlernt wird, der Tanz, das Theater und das plastische Gestalten.
Jene Methoden, die zudem die Kommunikation fördern, nennt man kreative erlebnisreiche Methoden.
Kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt
Die kritische Auseinandersetzung mit der Umwelt richtet sich stark nach den Bedürfnissen, den Lebensumständen und dem Interesse der Schüler. Sie wird durch Untersuchungen, Experimente und Exkursionen herbeigeführt, wobei praktische und theoretische Arbeit dabei eine Einheit bilden sollen.
Die Klassenzeitung und die damit verbundene Schuldruckerei sind dabei ein wichtiges Präsentationsmittel zur Aufwertung der Schülerarbeiten.
Selbstverantwortlichkeit des Schülers
In der „Freiarbeit“ bestimmt der Schüler selbst, was er erarbeiten möchte und tut dies seinem persönlichen Rhythmus entsprechend. Hilfsmittel wie die Arbeitsbibliothek stehen den Schülern zur ständigen Verfügung. Bei der Selbstbeurteilung über ihre geleistete Arbeit ziehen die Schüler eine Bilanz, wobei die Fähigkeit zur kritischen Selbstbeurteilung stark entwickelt und gefördert wird.
Mit diesen Mitteln entsteht für jeden Schüler ein individueller und persönlicher Tagesplan, welchen die Schüler inklusive ihrer Fortschritte in Lerntagebüchern festhalten. Für die Lehrer ist es bedeutsam diese Geschehnisse im eigenen Unterricht zu reflektieren.
Zusammenarbeit und gegenseitige Verantwortlichkeit
Es werden einerseits Vorschläge für die Arbeit und deren Organisation besprochen, andererseits wird versucht Problem- und Konfliktlösungen zu finden, welches hauptsächlich im Klassenrat bzw. der Klassenversammlung geschieht.
Die Schüler lernen die Notwendigkeit von Regeln und gewinnen durch die eigene Mitarbeit an der Erarbeitung dieser Regeln gleichzeitig an Einsicht.
Auf dem gleichen Weg wird der Grundstein für eine Demokratisierung gelegt.10
Arbeitsaufgaben:
5. Geben Sie in eigenen Worten und möglichst kurz den Inhalt der vier Grundsätze der Freinet-Pädagogik wieder.
Unterrichtsgestaltung im Rahmen der Freinet-Pädagogik
Die Freinet-Pädagogik würde für die öffentlichen Regelschulen konzipiert, um die Interessen der Kinder durchzusetzen und die Lehrtätigkeit herabzusetzen. Instrumente für die Organisation der gemeinsamen bzw. individuellen Aktivitäten sind verschiedene Unterrichtstechniken, wobei zum Beispiel Morgenkreis und Tages- oder Wochenplan zu diesen zählen.
Für die gemeinsame Arbeitsorganisation werden Ideen, welche in drei Rubriken eingeteilt sind, gesammelt. Durch diese Einteilung werden auftretende Konflikte gemeinsam bearbeitet und jeder ist gleichberechtigt, da auch die Lehrperson nur eine Stimme bei einer demokratischen Abstimmung besitzt, sowie jeder einzelne Schüler auch.
Zunächst wird die Zeit für die Freiarbeit eigenständig von den Schülern eingeplant. Der Klassenraum wird unter Anderem mit Lernkarteien, Experimentierkästen, Werk- und Leseecken und verschiedenen Vervielfältigungsmöglichkeiten ausgestattet, um die offene Struktur des Unterrichts zu verdeutlichen.
Auf Grund dieser offenen Unterrichtsstruktur eignet sich die Freinet-Pädagogik auch besonders für die Arbeit im sonderpädagogischen Bereich und auch für die Integration ausländischer SchülerInnen in eine Regelklasse.
Vorraussetzung für eine funktionale Umsetzung ist die konsequente Individualisierung und Leistungsbewertung der Lernenden am eigenen Lernfortschritt.
Der Lernprozess in einer Freinet-Klasse wird durch die Selbstentfaltungstendenz der kindlichen Individuen gesteuert. Das "tâtonnement expérimental"11 überwindet die herkömmliche, in Schulfächer aufgesplitterte und lehrgansmäßig gesteuerte Unterweisung. Die gemeinsame Arbeit im Klassenzimmer kommt von den Schülern bzw. Schülerinnen selbst und aus deren privatem Umfeld. In der Freinet-Klasse gilt die Kooperative12 im Klassenrat bezüglich der Regelung von Intrarollenkonflikten13 und Interrollenkonflikten.14 Das Erziehungsziel der Freinet-Pädagogik besteht darin, das Individuum zu selbstbewusster Interessensvertretung zu befähigen und die Selbstorganisation, sowie das solidarische Handeln des Einzelnen zu fördern. Das eigene kritische Untersuchen und Fragen rangiert vor dem schon fertigen verabreichten Buchwissens. In Arbeitsateliers wird tatsächlich gearbeitet, etwas hergestellt und produziert, denn die Erstellung einer Klassenzeitung ist selbst schon eine nicht zu unterschätzende handwerkliche Komponente.15
Eine Problematik ist die theoretische Abgrenzung von anderen Ansätzen zu offenem, schülerzentriertem Unterricht. Die Lehrer bzw. Lehrerinnen der Freinet-Pädagogik stehen abgehobenen Theorien eher skeptisch gegenüber, da sie eher basisorientert, experimentierfreudig und pragmatisch sind. Einflüsse, wie aktuelle didaktische Strömungen und neue methodische Ansätze werden, obwohl die LehrerInnen offen für diese sind, durch ihr Kriterium der Ermöglichung wachsender Autonomie im Lernprozess gefiltert.16
Die Freinet-Pädagogik in ihren Einzelheiten
Selbständiges Tätigsein der Kinder steht im Mittelpunkt
Freinet unterscheidet bei dem „Tätigsein“ zwischen "travail-jeu", der Arbeit mit Spielcharakter und "jeu-travail", dem Spiel mit Arbeitscharakter.
Als Arbeit mit Spielcharakter sah Freinet alle verschiedenste Tätigkeiten in Alltag und Leben der Kinder, wie beispielsweise das Fegen der Straße, das Töpfern einer Tasse oder das Malen eines Bildes. Bei der Durchführung dieser Tätigkeiten verfolgt das Kind einen bestimmten Zweck.
Spiele mit Arbeitscharakter sind alle übrigen, spielerischen Betätigungen, deren Endprodukt nicht der Zweck ist, sondern das Handeln selbst.
Diese Spiele haben dem pädagogischen Ansatz Freinets zufolge aus Sicht eines Kindes etwas "Ernsthaftes" an sich und sind mit Arbeit verwandt. Spiel und Arbeit wären in der Freinet-Pädagogik theoretisch miteinander verbunden.
Drei Entwicklungsrichtungen und vier Prinzipien
Die Freinet-Pädagogik lässt sich zusammenfassend in einem Dreieck symbolisch darstellen, dessen drei Seiten möglichst gleich lang sein sollen. Die Größe des Dreiecks und die Länge der drei Seiten entsprechen dabei dem jeweiligen Entwicklungsstand des einzelnen Kindes. Folgende Entwicklungsrichtungen stehen im Vordergrund:
1. Selbständigkeit und Kompetenz:
Das Kind entdeckt in seinem Denken und Tun eine zunehmende Unabhängigkeit
vom Erwachsenen, seine wachsende Selbständigkeit und Kompetenz.
2. Produktivität und Selbsttätigkeit:
Das Kind entwickelt die wachsende Fähigkeit, seine eigenen Bedürfnisse handelnd zu befriedigen, es erwirbt Handlungsfähigkeit.
3. Gemeinsamkeit und Partizipation:
Durch die Steigerung seiner Handlungsfähigkeit lernt das Kind in Gemeinschaft mit
anderen zu handeln. Es erlebt Gemeinsamkeit und Partizipation und differenziert
seine sozialen Verhaltensweisen aus.
Das Kind versucht beständig sich entlang dieser drei Seiten zu entwickeln. Dabei muss es immer wieder ein Gleichgewicht der drei Seiten erreichen.
Der Rahmen, in dem das Entwicklungsdreieck wachsen soll, der Entwicklungsraum des Kindes, ist in der Freinet-Pädagogik durch vier Prinzipien bestimmt:
1. Freiheit:
Der Freinet-Unterricht ist grundsätzlich so organisiert, dass alles frei zugänglich ist
und auch ohne die Erlaubnis Erwachsener jederzeit benutzbar. Was, wie und woran
Kinder lernen, ist im Wesentlichen abhängig von ihrer freien Wahl.
2. Verantwortung:
Das besondere der Freinet-Pädagogik ist, dass Kinder selbst die Verantwortung für
ihren Lern- und Entwicklungsprozess übernehmen. Sie entscheiden selbst, was sie
tun.
3. Sinn:
Sinn entsteht der Freinet-Pädagogik zufolge in der persönlichen Sinnerfüllung des
Kindes. Erst in ihrem selbsttätigen Handeln und Forschen und nicht durch die
Konfrontation mit Wert-, Ziel- und Moralvorstellungen der Erwachsenen entsteht,
verändert und verfestigt sich Sinn.
4. Bezug zum Leben:
Sinn entsteht dort als leitendes Prinzip, wo sich Kinder nahe am Leben entwickeln
können. Die Freinet-Pädagogik will so die Schule für das Leben der Kinder öffnen.
In der Kindertagesbetreuung will sich die Freinet-Pädagogik bewusst absetzen von der "Aufbewahrungspädagogik". Sie geht davon aus, dass das Wohlbefinden und die soziale, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern an Bewegungslust, Forschungsdrang, Eigentätigkeit und Experimentierfreude gebunden ist. Diesen Bedürfnissen sollen die Kinder möglichst uneingeschränkt nachgehen dürfen. Dabei wird kein Wert auf Perfektion gelegt, sondern die Kinder sollen in ihrer eigenen sinnlichen und unmittelbaren Erfahrungswelt auch Fehler machen dürfen.
Freinet-Pädagogik entsteht unmittelbar aus der Praxis
Die Freinet-Pädagogik findet ihre praktische Organisationsform, Arbeitsweisen, Methoden und Arbeitsmittel im Dialog mit den Kindern. Darin, den Kindern das Wort zu geben, sind ihre Pädagogen konsequent. Aus der Praxis heraus, in der Kommunikation mit Kindern und größtenteils von diesen selbst erstellt, entstehen Arbeitskarteien, Dokumentensammlungen, Korrespondenzen mit anderen Schulen und Arbeitsbüchereien. Als Grundlage dienen freie Texte, sowie weitere Ideen und Produkte der Kinder, in denen sie ihre Interessen und Bedürfnisse ausdrücken können.
In der Freinet-Pädagogik helfen die Erwachsenen den Kindern vor allem darin, sich auszudrücken, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und sie dabei unterstützend zu begleiten. Das Ziel ist, die Kinder darin zu unterstützen, dass sie selbst zwischen Möglichkeiten wählen und sich entscheiden können.
Die Ziele und Vorstellungen der ErzieherInnen sollen zwar in das pädagogische Verhältnis einfließen, das Kind aber kann, seinem jeweiligen Entwicklungsstand entsprechend, frei wählen zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Für die pädagogische Praxis und Planung bedeutet dies, dass die ErzieherInnen, abgesehen von der Verantwortung für den äußeren Rahmen und die Sicherheit der Kinder, herausfinden müssen, wo und ob sie überhaupt gebraucht werden. Im Dialog mit den Kindern tasten auch sie sich vor und lassen den Kindern Raum und Zeit sich auszudrücken und mitzuteilen.
Freinet-Pädagogik lässt sich überall und bei allen Altersstufen realisieren
Aus der Praxis heraus entstanden Techniken und Methoden, welche in Anlehnung an die drei Entwicklungsrichtungen des Kindes aufgezählt werden. Das selbsttätige Handeln der Kinder stehe im Vordergrund und nicht die methodische Wahrheit.
Diese Techniken und Methoden gilt es immer wieder in der Praxis an den Prinzipien der Freinet Pädagogik zu überprüfen.
1. Selbständigkeit:
Wochenpläne, Abmeldetafeln, Dokumentensammlungen, Wahlfreiheit, jederzeit
zugängliches Material und Räume, Bibliothek und Ehrenämter.
2. Gemeinsamkeit:
Gruppenbesprechungen und Plakate, Kinderrat, Werkstatträte, Gruppentagebücher, Freizeiten.
3. Produktivität:
Einbeziehung von allerlei Alltagsverrichtungen, Arbeitsbesprechungen, Gruppen- und Partnerprojekte.
Die Freinet-Pädagogik liefert keine dauerhaft gültigen Methoden, da die Freinet-Pädagogik ursprünglich mit Schulkindern entstanden ist und viele der genannten Elemente deshalb auf das Alter zwischen etwa fünf und neun Jahren zugeschnitten ist.
Mit dieser Sammlung brauchbarer Techniken und Methoden ist eine pädagogische Haltung verbunden, die für jede Altersstufe gültig ist.
Anhand von vier Fragegruppen, die sich Erzieher/innen in Kindertageseinrichtungen stellen, können sich Beachtung und Einhaltung der genannten Techniken und Methoden überprüfen lassen:
1. Fragegruppe:
Wie offen und frei ist unsere Einrichtung?
In welchem Umfang besteht freier Zugang zu Räumen und Material?
Wie frei sind die Kinder in der Auswahl ihrer Tätigkeiten?
2. Fragegruppe:
In welcher Form werden Entscheidungen getroffen?
Wie sind Kinder daran beteiligt?
Wie viel entscheiden Erwachsene an Stelle von Kindern?
Wie viel Verantwortung für sich selbst überlassen wir Kindern?
3. Fragegruppe:
Wie flexibel sind Regelungen und Regeln?
Verändern sie sich überhaupt, oft oder beständig?
Wie individuell zugeschnitten sind unsere Regelungen und
Verantwortlichkeiten?
4. Fragegruppe:
Differenzieren wir Erwachsenen untereinander selbst unsere Verantwortungsbereiche
in ausreichendem Maße?
Fragen aus der Perspektive der Kinder stellen
Wichtig ist es, vor allem in Bezug auf die Altersstufen, herauszubekommen, was Kinder im Alltag ohne Erwachsenen tun können, wie selbständig sie sein dürfen. Dies bezüglich lassen sich Fragen, anhand derer eine Einschätzung des Selbständigkeitspotentials möglich ist.
Können die Kinder jederzeit den Gruppenraum verlassen?
Können sie jederzeit in einer Werkstatt arbeiten?
Können sie alle Räume der Kindertageseinrichtung auch ohne Erwachsene benutzen? Können sie z.B. ihre Freunde einladen, ihr eigenes Spielzeug mitbringen, die Hausaufgaben machen, wenn ihnen danach ist, Flohmärkte veranstalten, eine Feuerstelle benutzen, das Telefon, die Waschmaschine, die Küche oder den Staubsauger?
Wie frei zugänglich sind Sportgeräte?
Wie groß ist der frei erreichbare Raum auch außerhalb der Kindertagesstätte?
Hat jedes Kind, vor allem Schulkinder, einen Platz, den es alleine gestalten kann, der für alle anderen tabu ist?
Gibt es öffentliche Beschwerden, Suchanzeigen, Mitteilungen, Anschläge oder ähnliches von Kindern?
Zusammenfassend befragt die Freinet-Pädagogik in ihrer Praxis aus der Perspektive der Kinder die Erziehungseinrichtungen danach: "Wie frei und selbständig kann ich mich als Kind hier bewegen?". Im Dialog mit den Kindern versuchen Freinet-Pädagogen herauszufinden, wie die konkrete Form eines für die Selbständigkeit der Kinder förderlichen Lebensraumes aussehen kann.17
"Da muss man umdenken"
Lothar Klein in Bezug auf die Freinet-Pädagogik im Kindergarten
„Der französische Pädagoge Célestin Freinet hat seine Arbeit eigentlich dem Leben von Kindern in der Schule gewidmet. Heute wird die Freinet-Pädagogik jedoch auch immer mehr in Kindergärten und Tagesstätten erprobt. Lothar Klein hat verschiedene Einrichtungen besucht und berichtet über die Erfahrungen, die Kinder und Erzieherinnen mit diesem Ansatz machen.
Gleich hinter der Eingangstür aller drei Einrichtungen, die ich besucht habe, um herauszufinden, wie sich eine "Schulpädagogik" im Zusammensein mit Kindern zwischen 3 und 6 Jahren "bewährt", umgaben mich Kinder. Ich brauchte nicht lange zu bitten oder zu fragen. Scheinbar auf Besucher eingestellt, übernahmen sie sofort die Führung und zeigten mir, was sie selbst für bedeutsam halten. Staunend ließ ich mich darauf ein und sammelte zunächst einmal Eindrücke wie die folgenden:
Christian, viereinhalb Jahre alt, sitzt in der Töpferei und erklärt mir, was er macht: "Ich haue den Ton kaputt, den mache ich platt." Stefanie (3) macht "Würste", Kai (4) stellt eine Unmenge kleine "Kanonenkugeln" her. Das tut er schon seit Wochen. Sie alle machen ihr "Plom". "Das Plom ist, wenn man alleine hier was machen und seine Freunde mitbringen darf.", reagiert Christian auf meinen erstaunten Blick. In einer Holzwerkstatt weist mich der vierjährige Mariano zurecht: "Ich mache kein Spielzeug.", sagt er, "Ich mache etwas interessant!" Neben ihm steht Marina (5) und baut eine "echte Titanic". Darauf will sie dann später "ihren" Leonardo di Caprio stellen.“18
Die Freinet-Pädagogik macht das Leben des Kindes, seine Bedürfnisse und Möglichkeiten zum Ausgangspunkt ihrer Praxis.
Kinder dürfen frei tasten, versuchen ausprobieren und experimentieren, und zwar sowohl mit Material und Werkzeugen als auch mit sozialen Regelungen.
Kinder sollen das Wort haben und deutlich spüren, dass ihre eigene subjektive Welt von Erwachsenen respektiert, statt von außen verändert wird. Sie dürfen sich frei ausdrücken.
Entscheidungen dürfen getroffen werden und für sich selbst und andere darf Verantwortung übernommen werden.
Kinder dürfen sich mit Dingen, Gegenständen, Themen und Fragen beschäftigen, die aus ihrem eigenen Leben stammen und sollen dabei ihrem individuellen Rhythmus folgen dürfen.
Sie dürfen die Möglichkeit besitzen, sich produktiv an der Gestaltung ihres Alltags zu beteiligen und arbeiten und vor allem spüren, dass ihnen vertraut und ihnen was zugetraut wird.
Die Freinet-Pädagogik stellt außerdem Erwartungen an die Erwachsenen.
Die Erwachsenen sollen klar erkennbar eigene Sichtweisen der Dinge besitzen und diese auch anbieten, sich jedoch selbst nicht als Besserwisser oder Vormacher, sondern vielmehr als interessierte und anregende Forscher begreifen. Solche Erwachsene besitzen selbst Mut zum Experiment. Sie sehen in Bezug auf Kinder und sich selbst den Fehler als Verbündeten im Lernprozess an. Statt ihn zu verhindern, begreifen sie ihn als Entwicklungsimpuls.
Sie müssen entdecken, was das Kind schon kann, statt vor allem auf die Defizite zu starren.
Es ist wichtig erst im Dialog mit den Kindern herauszubekommen, wo und wann sie gebraucht werden und nicht selbstverständlich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt sein.
Der Erwachsene Mensch sollte die Welt der Kinder aufsuchen und dort mit ihnen in den Dialog kommen, statt zu erwarten, dass Kinder ihr Verhalten nach den Wünschen der Erwachsenen ausrichten.
Diese Grundsätze können auch das Zusammenleben mit jüngeren Kindern prägen. Unterschiede zwischen Einrichtungen gibt es natürlich bei der konkreten Umsetzung und Gestaltung.
Wer sich bemüht den Alltag konsequent vom Kind aus zu gestalten, kann unterschiedliche Wege beschreiten. Beispielsweise können Einrichtungen sich dafür entscheiden, den Kindern zunächst den freien Zugang zu einer Reihe von Werkstätten zu eröffnen. Jeder einzelne geht dabei zwar unterschiedliche Wege, lässt aber auch die Kleinsten bereits ohne unmittelbare Kontrolle der Erwachsenen darin arbeiten.
Werkstätten - ein Eckpfeiler der Freinet-Pädagogik
Die Ausstattung eines Klassenzimmers wird verändert, indem dort eine Reihe von Ateliers eingerichtet werden, damit die Kinder dort ihren "Hunger nach Leben und Aktivität" stillen zu können. Mit diesen Ateliers bzw. Werkstätten verbindet die Freinet-Pädagogik drei Ziele:
1. Kinder sollen die Gelegenheit bekommen, sich durch ihre Tätigkeit selbst zu verwirklichen, sich sogar selbst zu erschaffen. Das gelingt nur, wenn die Arbeit in Werkstätten nicht von außen, etwa durch Erwachsene, gelenkt oder gar bestimmt wird. In diesem Fall begegnen wir in den Produkten der Kinder ihrem freien Ausdruck und damit auch ihnen selbst.
2. Die Werkstätten bieten viel Gelegenheit, sich der eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten in der Auseinandersetzung mit dem Material und dem Werkzeug bewusst zu werden. Kinder erleben sich dabei als kompetente Menschen, die auftretende Schwierigkeiten selbst meistern. Sie tun das, wie Freinet schreibt, in tastenden Versuchen und machen dabei vielerlei Entdeckungen, u. A. über die Wechselwirkung zwischen Absichten und Interessen einerseits und den Möglichkeiten, diese mit Material und Werkzeugen zu verwirklichen andererseits.
3. Kinder üben sich im selbstgesteuerten Lernen . Sie entwickeln beispielsweise eigene Problemlösungs- und Planungsstrategien. Sie übernehmen die Verantwortung für diesen Prozess und damit für sich selbst. Sie entwickeln in der Arbeit die Fähigkeit, sich in unfertigen und pädagogisch nicht aufbereiteten Situationen zurechtzufinden und dies mit allen Konsequenzen.
Viele Ideen entstehen im Prozess des Tuns
Wie sieht dies alles in der Praxis der Kindergärten aus? Das Kinderhaus Dudweiler bei Saarbrücken hat vor ca. zwei Jahren mit der Töpferei und der Holzwerkstatt begonnen. Dort erwerben Kinder, die es möchten, ein "Diplom", das "Plom", wie es die Kinder nennen. In der Töpferei wird häufig zu Musik gearbeitet. Für jede Werkstatt fühlen sich jeweils zwei der insgesamt acht Erzieherinnen verantwortlich. Jede Woche gibt es zwei Werkstattage, an denen sich jeweils eine Erzieherin einen Großteil des Tages über in der Werkstatt aufhält. Der Andrang sei so groß, dass man sich entschlossen habe, jeweils zwei Tage statt einem einzurichten. Die Verantwortung unter Dreien aufzuteilen, mache Sinn, denn erstens sei die Kontinuität19 auf diese Weise gesichert, zweitens wären wirklich alle Erwachsenen beteiligt und drittens sei der Arbeitsaufwand für die Einzelne dadurch überschaubarer.
An den Tagen, an denen sich Erwachsene nicht in der Werkstätten aufhalten, regelt sich alles von selbst: Kinder mit "Plom" laden ihre Freunde "zur Arbeit" ein. Ist eine Werkstatt voll, wird einfach ein rotes Schild an die Tür gehängt.
Die Kinder hätten die Erzieherinnen überrascht, erzählen diese im Gespräch. Zu Anfang hätten sie den Kindern nicht mehr als 20 Minuten Arbeit zugetraut. Schließlich seien sie ja noch klein. Es hätte sogar einen Wecker in der Werkstatt gegeben, der nach 20 Minuten geklingelt hätte, um die Kinder nicht zu überfordern. Dann, irgendwann war der Wecker kaputt, und alles begann sich entsprechend den unterschiedlichen individuellen Arbeitsvorhaben der Kinder zu regeln. Manche arbeiten heute mehr als eine Stunde in den Werkstätten, manche noch länger.
Und gefragt, ob der Begriff "Arbeit" der richtige sei, antworten sie: "Natürlich, man muss nur mal sehen, wie konzentriert und ernsthaft die Kinder dabei sind." Meist aber sei für die Kinder aber nicht das Produkt das Entscheidende. Das werde ziemlich bald wieder vergessen. Was sie tun, sei für sie wesentlich. Ein Kind habe das sogar einmal explizit20 ausgedrückt. Es beschrieb seine Arbeit mit den Worten: "Ich mache einen Nagel."
Tastendes Versuchen und entdeckendes Lernen
Freinet spricht in diesem Zusammenhang von "tastenden Versuchen" und "entdeckendem Lernen", dem oft wundervolle Ideen folgen. Und in denen stecken eine Unmenge Geschichten aus dem Leben der Kinder.
Auf diese Weise entstehen "Tunnel mit Kanonenkugeln", "Körbchen mit kleinen Sachen", "Ungeheuer mit langer Nase", ein "Schneepflug" oder "Kugelhaufen". In der Töpferei sind kleine Würstchen sehr beliebt, die dadurch entstehen, dass Ton durch einen Sieb gequetscht wird. Und aus der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden kenne ich ein Stück Holz, so fein gefeilt und geschmirgelt, dass es sich ganz weich anfühlt, das "Schmuseholz" der fünfjährigen Anna-Lena, zwei kleine zusammengenähte Taschen, in denen bunte Federn stecken, die "Federhalter" der vierjährigen Lisa, ein "Memoryspiel" in einer Streichholzschachtel und eines in einer Zigarettenschachtel, beide von der sechsjährigen Nadine selbst hergestellt und durchaus benutzbar, außerdem einen "Weihnachtsbaum mit Lametta und zwei Kugeln", eine "Beuteltierente", ein "schönes Karussell" und "Sophias schönen Stock".
"Unser Zutrauen in die Kinder musste erst wachsen.", erzählen die Erzieherinnen. "Wir haben versucht, alles konsequent aus dem Blickwinkel der Kinder zu betrachten und haben uns im Team immer wieder gefragt: Wie würde ich das oder jenes als Kind machen?"
In Wiesbaden-Breckenheim geht das Team einen anderen Weg. Dort ist eine Erzieherin für alle Werkstätten, immerhin Druck, Holz, Ton, Kunst und Handarbeit alleine verantwortlich und dafür freigestellt. Auch sie bietet Werkstattage an, den denen die Kinder mit ihr arbeiten können. Von Diplomen hält sie nichts. Sie meint, dass in Werkstätten, ebenso so wie in anderen Funktionsräumen auch, keine besonderen Regelungen notwendig wären. Die Kinder, besonders die im Kindergartenalter, würden dort sowieso nicht wegen dieses Scheins arbeiten, sondern, weil sie eine ungeheure Freude an der Arbeit besitzen.
Und in der Tat, es überrascht, wie selbstbewusst und sicher die Kinder sich diese Arbeitsbereiche erobert haben. Als ich die beiden großen Werkstatträume besuche, sitzen insgesamt zwischen 15 und 20 Kinder darin und arbeiten mit einer Konzentration, die ansteckend wirkt. Sie unterhalten sich dabei und beschreiben mit Worten was sie tun:
"Ich habe keine Idee. Deshalb mache ich nur so rum. Naja, dann mache ich halt einen Autoscooter.", so der fünfjährige Johannes.
"Ich machen einen Schmetterling. Der gefällt mir und kann fliegen. Wie gefällt er Dir?", fragt die fünfjährige Jana.
"Das ist Pinocchio und sein Cipetto." So der ebenfalls fünfjährige Nico, dessen rechte Hand verwachsen ist, was ihn aber überhaupt nicht bei seiner Arbeit zu stören scheint.
Kinder brauchen Gelegenheiten für ihre Experimente
Kindergartenkinder sind wie alle anderen Kinder auch Entdecker und Forscher. Sie ziehen keine Altersgrenzen, sondern greifen dann zu Material, Dingen und Gelegenheiten, wenn Ihr Verlangen nach Leben und Aktivität entflammt ist, dann, wenn diese Dinge in ihrem Leben wichtig werden. Sie benötigen dafür keinen äußeren Druck, sondern folgen individuellen Rhythmen. Sie brauchen aber Gelegenheiten, müssen dann experimentieren können, wenn das Interesse erwacht ist. Dann gehen sie selbstverständlich und selbständig auch mit Dingen um, die ihnen eigentlich noch nicht zugetraut oder zugedacht werden.
Beispiel:
„In der Kindertagesstätte Kellerstraße in Wiesbaden findet eine Gruppenbesprechung statt. Die dreieinhalbjährige Gonca hat sich von einer Erzieherin einen Zettel für die Zettelei schreiben lassen. Ihren Namen setzt sie selbst darunter: "Ich freue mich, dass ich schon schreiben kann. Gonca". In der Gruppenbesprechung freuen sich alle mit ihr. Özgün, viereinhalb Jahre alt, schreibt Briefe an Ute, seinen Papa, an Helke oder andere. Auch seine Bilder beschriftet er fleißig. Stets fängt er zuerst mit den Punkten an. Manche "Unterschriften" haben einen, andere 7 oder mehr Punkte. Das stört ihn nicht. Die Hauptsache, die Punkte sind da. Selbst ein Stoppschild, das er anfertigt, um es an die Tür zu kleben, hat einen Punkt. So unterschiedlich können die Wege sein, wie sich Kinder schon lange vor der Schule mit dem Schreiben beschäftigen. In der Kindertagesstätte Kellerstraße haben die Erzieherinnen das erkannt, beobachten diesen Prozess voller Spannung und fördern ihn, indem sie zahllose "Schreibanlässe" im Alltag auch der ganz jungen Kinder geschaffen und zugelassen haben. Viele Dinge werden z.B. mit "Ausleihzetteln" ausgeliehen. Für manche Kinder geht es dann gar nicht mehr um das Ausleihen, sondern um das Unterschreiben der Zettel. Tagebücher werden diktiert und geschrieben, bemalt und unterschrieben. Michelle (5) beschriftet ihre Bilder. Sie schreibt die Adressaten darauf: Papa, Mama, Ute etc. "Das kann ich schon immer, alle Zeit!" kommentiert sie. Mariano (4) malt einen "Einkaufszettel" und verkauft ihn für "drei Geld" an seinem Flohmarktstand. Und auch am Computer wird schon mit Schrift umgegangen.“21
Der Fehler als Verbündete
Auch sonst lassen die Erzieherinnen die Kinder immer wieder eigene Ideen verfolgen und umsetzen. Statt, dass diese, wie Freinet schreibt, stets nur auf einer auf einer "wissenschaftlich auf das Genaueste erdachten methodischen Treppe nach oben gelangen", sollen sie auch die Balustraden herunter rutschen und Pfade überschreiten dürfen, natürlich dabei auch springen, rückwärts gehen, auf allen Vieren kriechen, lachen oder gar ganz andere Wege gehen, eben den eigenen.
"Nicht für alle das Gleiche", sondern jedem seinen eigenen Rhythmus und Entwicklungsweg, das war eines der wichtigsten Postulate22 Freinets.
So kann auch die sechsjährige Clara im Flur auf grünem Papier ein Picknick durchführen. Der vierjährige Taifun wird nicht von seinem Flohmarktstand zum Essen geholt. Das Essen wird ihm vielmehr dort hin gebracht. Max, fünf Jahre alt, kann unbehelligt zwei Stunden lang unter einem Tisch im Eingangsflur sitzen und auf die "Wesen" warten, mit deren Ankunft er rechnet. Ann-Katrin und Özgün, beide vier, können in ihren Strümpfen mit etwas Gras Nester für Marienkäfer bauen. Niemand hat etwas dagegen, dass Johannes, drei Jahre alt, selbst bestimmt, ob er schläft oder nicht, Melvin, vier Jahre, darf vom Brötchen nur die obere Hälfte essen und auch das Außengelände ist für die Kinder keinesfalls tabu oder nur in Begleitung Erwachsener zu betreten.
Jüngere Kinder teilen uns Erwachsenen ihre Ideen, Absichten und Bedürfnisse selten in der uns gewohnten Form, nämlich verbal mit, sondern sie handeln, verfolgen Ziele und probieren aus. Dass es dabei manchmal auch zu Missverständnissen zwischen den Welten der Erwachsenen und der Kinder kommen kann, macht mir eine Erzieherin aus der Kindertagesstätte Breckenheim bei Wiesbaden deutlich. Sie erzählt vom dreijährigen Torben, der eines Tages weitertöpfern wollte, als die Gruppe zum Stuhlkreis zusammenfand. Später war er dann enttäuscht, dass der Stuhlkreis ohne ihn stattgefunden hat. Gerade solche Missverständnisse sind häufig erst der Beginn eines Dialogs zwischen Kindern und Erwachsenen und helfen deshalb letztlich, die Absichten und Vorgehensweisen der Kinder ein wenig besser zu verstehen. Man muss ihnen bloß konsequent das Wort geben, ihnen zuhören und sie Regie führen lassen.
Achten, beachten, beobachten
"Da muss man wirklich umdenken.", sagt Doris Endres, die Erzieherin. Sich auf diese Art den Kindern zu nähern, sie eigenverantwortlich handeln zu lassen, sei vor allem am Anfang in der Umstellungsphase nicht immer leicht. Die Signale der Kinder würden oft nicht richtig verstanden, und da laufe schon dann und wann mal etwas schief. Außerdem sei es einfach auch lauter und bewegter als früher. Und schließlich müsse man wirklich erst lernen, auf die spontanen Wünsche und Ideen der Kinder zu reagieren. Am Anfang hätte sie zunächst hätte sie das Gefühl gehabt, dass der sichere Rahmen für die eigene Arbeit sich auflöse. Sicherheit im Umgang mit wirklich selbstverantwortlich handelnden Kindern stelle sich erst nach und nach ein. Darauf habe sie sich in der Ausbildung nicht vorbereiten können. Es sei eben entgegengesetzt von dem, was sie gelernt habe: Statt für Kinder zu formulieren, was diese sollen, nun herauszubekommen, was sie wollen.
Im Team hätten sie sich vor allem darin geübt, auf die Signale der Kinder zu achten, darüber zu sprechen, was die Kinder ausdrücken. Beobachten im herkömmlichen Sinn alleine genüge da nicht. Das richtete sich nämlich vornehmlich vom Erwachsenenstandpunkt aus auf die vermeintlichen und wirklichen Defizite der Kinder. Was Kinder schon können und was für sie subjektiv bedeutungsvoll sei, habe man auf diese Weise kaum wahrgenommen. Heute würden sie ihren Blick vor allem auf die Absichten, Interessen, Theorien, das Wissen und die Erfahrungen der Kinder richten, um deren Stärken und jeweilige Einzigartigkeit zu erkennen.
Was die Selbständigkeit und Selbstsicherheit der Kinder angehe, heben die Erzieherinnen zwar einschränkend hervor, dass gerade jüngere Kinder auch sichere Rituale, Orientierung und Begrenzungen bräuchten, andererseits aber überraschten diese auch immer wieder von Neuem mit eigenverantwortlichem Handeln. Dabei würden die Kinder durchaus gut für sich selbst sorgen könnten. Wenn ihnen etwas zu schwer sei, ließen sie es eben einfach bleiben.
Nach diesen Erfahrungen werde ich wohl nicht wieder die Frage stellen, ob die Freinet-Pädagogik nur in die Schule, den Hort oder auch in den Kindergarten passt. Die Freinet-Pädagogik ist ein Konzept, das vor allem eine Grundhaltung lebt und viele praktische Angebote macht. Vor Ort aber nimmt sie im Zusammenspiel der jeweiligen Personen, Traditionen und räumlichen Gegebenheiten ihre jeweils ganz spezifische Form an. Das ist spannend, bedeutet jedoch auch, dass man immer erst herausarbeiten muss, was passt, vor allem im Dialog mit den Kindern.
Die Freinet-Pädagogik kann man nicht auf einen Schlag einführen, sie muss entstehen und wachsen, und zwar ganz langsam mit tastenden Versuchen, in entdeckendem Lernen und mit Kindern, die das Wort haben.23
Arbeitsaufgaben:
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Literaturverzeichnis
Printmedien
Elise Freinet, Erziehung ohne Zwang. Der Weg Célestin Freinet; Stuttgart 1981
Hans Jörg, Praxis der Freinet-Pädagogik; Kapitel 1.4: Die Schuldruckerei, Paderborn 1981
CD-ROM
Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Meyers Lexikon in 24 Bänden, 2006
Goldmann-Lexikon, CD-Rom
Internetseiten
http://freinet.paed.com
Stand: 13. Juni. 2010
http://freinet.paed.com/freinet/start.php
Stand: 15. Juni. 2010
http://www.mobile-familienmagazin.de/kindergarten/kigawahl/details?k_onl_struktur=385559&k_beitrag=40858
Stand: 19. Juni. 2010
http://kindergartenpädagogik.de/403.html
Stand: 22. Juni. 2010
Bilder
http://www.ecoles.cfwb.be/nainsdejardin/images/freinet02grand.jpg
http://www.obs-piramide-freinet.nl/pictures/celestin%20freinet2.jpg
http://www.ursusminor.info/msk/freinet.htm